Unser neues Büro

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Fortsetzung: Die Ausbeutung des Jahres – alles wird gut

Hallo! Hier ist Marvin. Heute, am 9.1.2011, schreibe ich meine angekündigte Fortsetzung vom 9.12.2010.
Kurz vor Weihnachten fuhr ich mit der Deutschen Bahn von Berlin über Schwerin und Ribnitz-Dammgarten nach Wustrow. Das liegt am Darss an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern, falls das jemand kennt. Bei Schneesturm und minus 10 Grad kam ich bei meinem neuen Arbeitgeber, dem „Dorint-Strandhotel Ostseebad Wustrow“, spät am Abend an. Ich bekam ein nettes Zimmer und leckeres Essen. Am nächsten Morgen sollte ich um 8.00 Uhr in der Küche antreten. Arbeitskleidung wurde mir gestellt.
Vom Heiligen Abend bis Neujahr habe ich voll durchgearbeitet. Es war tierisch viel zu tun. Jeden Tag über Hundert Essen zubereiten und servieren. Unser Team besteht aus 30 Leuten. Mein Chef ist klasse, immer freundlich zu den Gästen und zu uns. Mein Küchenchef ist auch prima. Er hat mich für die kleine Küche und für das Buffet eingeteilt. Meine Kollegen sind auch nett zu mir. Mit einigen bin ich schon fast befreundet.
Am 3. Januar 2011 rief mich der Hoteldirektor in sein Büro. Der Küchenchef war auch dabei. Die beiden Herren erklärten mir, dass ich die Probetage erfolgreich bestanden habe und dass ich einen Lehrvertrag bekommen könnte. Wenn ich wollte.
Natürlich will ich! Eine neue Lehrstelle! In einem 4-Sterne-Hotel der Dorint-Kette! Wow!
Ich habe mich tierisch gefreut und beide Herren herzlich umarmt. Am nächsten Tag bin ich glücklich und stolz mit meinem neuen Lehrvertrag zurück nach Berlin gefahren. Ein paar Tage bei Mama sein. Und ein paar Unterlagen für das neue Ausbildungsverhältnis zusammen tragen. Wieder zu den blöden Ämtern laufen. Aber egal, schon bald bin ich die endlich los.
Übrigens!: Mein Lehrlingsgehalt von dem Restaurant aus dem Nikolai-Viertel in Berlin-Mitte habe ich inzwischen auch bekommen. 600,00 Euro nachträglich für Oktober und November 2010! Ein Mitarbeiter von BLINKER hat mir dabei geholfen. Kurz vor Silvester war die Kohle auf meinem Konto. Danke!
Jetzt will auch noch RTL einen Fernseh-Beitrag darüber machen. Soll bei Punkt 12 gesendet werden. Ich habe auch vor der Kamera gesprochen, damit andere junge Leute mit solchen Problemen sich nicht entmutigen lassen. Es lohnt sich zu kämpfen!

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Die Ausbeutung des Jahres

Mein Name ist Marvin. Ich bin 21 Jahre alt und komme aus Berlin. Ich habe einen erweiterten Hauptschul-Abschluss und möchte Koch werden. Seit zwei Jahren versuche ich, eine vernünftige Ausbildung zu bekommen. Aber das ist schwieriger, als ich es mir je vorstellen konnte.

Ich war super glücklich, als ich im Herbst 2008 meinen ersten Ausbildungs-Vertrag zum Koch in einer großen Kantine unterschreiben durfte. Die Kantine ist ziemlich hip. Sie liegt direkt an der Spree bei Universal und MTV und täglich essen dort lauter schicke Leute aus der Medienbranche zu Mittag. Die Arbeit dort hat mir echt Spaß gemacht, auch wenn ich fast jeden Tag über 12 Stunden malochen musste. Mir war ja klar, dass die Arbeit als Koch kein Zuckerschlecken ist. Aber Kochen ist eben voll mein Ding.

Im Februar 2010 – in meinem zweiten Lehrjahr – bekam ich plötzlich kein Lehrlings-Gehalt mehr. Auch die beiden anderen Lehrlinge und Köche bekamen kein Geld mehr. Der Chef hat uns vertröstet, das Geld würde bald kommen. Wir haben dann einfach weiter gearbeitet, sind weiterhin brav zur Berufschule gegangen und haben unserem Chef geglaubt, dass er bald wieder zahlen kann. Im März gab es immer noch kein Geld und so ging das weiter bis zum Juli 2010. Unser Chef hat sich bei uns schon gar nicht mehr blicken lassen, andererseits bekamen wir mit, wie er mit Bargeld nur so um sich schmiss. Er hat den Laden gegen den Baum gefahren und ist inzwischen insolvent.

Wir haben dann bei der IHK (Industrie- und Handelskammer) und beim Jobcenter um Hilfe gebeten. Die IHK – bei der wir ja am Ende der Ausbildung unsere Prüfung machen müssen – hat aber nur mit den Achseln gezuckt. „Das ist Ihr Problem“, wurde uns gesagt, „für solche Fälle sind wir nicht zuständig.“ Wir waren sehr erstaunt über diese Auskunft der IHK. Also sind wir zum Jobcenter gegangen. Doch dort hat man uns nur ein Insolvenz-Formular in die Hand gedrückt – das sollten wir bei unserem Chef abzeichnen lassen, damit wir wenigstens Arbeitslosengeld bekommen können. Zurück zum Chef und ihm das Insolvenz-Formular gegeben und erklärt. Doch der Herr hat einfach eine falsche Insolvenz-Nummer auf dem Formular eingetragen. Ob absichtlich oder weil er verpeilt ist, weiß ich nicht. Jedenfalls gab es dadurch auch kein Arbeitslosengeld. Ich war dann im Sommer 2010 völlig pleite. Richtig sauer wurde ich, als ich erfuhr, dass unser Chef noch einen zweiten Laden hat, der gut läuft. Er hätte uns also bezahlen können. Aber wir kleinen Lehrlinge sind ihm einfach egal.

Mit abgebrochener Ausbildung bin ich dann wieder zum JobCenter marschiert. Was für ein Abstieg! Das Jobcenter meinte dann, dass ich meine Ausbildung bitte schön in Österreich fortsetzen sollte. Mein erster Gedanke: Wollen die mich verarschen? Aber ich habe dann Kontakt mit dem Unternehmen aufgenommen. Es handelte sich um ein nettes kleines Familienhotel in Kitzbühl. Einziger Haken: Ich sollte dort meine gesamte Ausbildung von vorne beginnen! Die zwei Jahre in Berlin wären dann für die Katz gewesen. Was macht man nicht alles, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht? Ich also runter zu den Ösis, wie immer gut gelaunt, denn ich will ja nur Eines: Kochen! Die Küche war ganz anständig, mein Küchenchef auch, und Gäste hatten wir reichlich. Meine Unterkunft wurde mit meinem Lehrlings-Gehalt verrechnet. So blieb mir nur ein kleines Taschengeld übrig, aber egal: Hauptsache ich konnte Kochen! In der fünften Arbeitswoche kam dann plötzlich der Chef zu mir und erklärte mir, „dass wir ein Problem haben.“ Ich bekam sofort weiche Knie und musste mich setzen und das war auch gut so. Denn allen Ernstes hatte sich heraus gestellt, dass ich in diesem Betrieb gar keinen IHK-Abschluss bekomme. Die Ösis haben ein anderes Ausbildungssystem, demzufolge kein IHK-Abschluss. Meine Ausbildung hätte also in Deutschland keine Anerkennung bekommen. Ich war echt verzweifelt und musste abends lange in mein Kissen heulen. Was machen die alle mit mir?

Zwei Tage später saß ich mit meinen Habseligkeiten wieder im Zug, zurück nach Berlin. Bei Mutti auf der Couch übernachten. Dann wieder zum Jobcenter, wo ich mich beschwerte über den hirnrissigen Trip nach Österreich – von den überflüssigen Kosten ganz zu schweigen – aber das interessierte dort niemanden. So richtig arrogant von oben herab wurde mir mitgeteilt, dass ich die Klappe zu halten habe und bitte schön wieder alle Anträge auf Hartz4 ausfüllen soll. Die Faust in der Tasche, mit dem Rücken zur Wand, Ihr wisst schon…

Ich wieder raus auf die Strasse und sofort nach einer neuen Lehrstelle gesucht. Ich hatte Glück: ein berühmtes In-Restaurant in Berlin-Mitte im noblen Nicolaiviertel wollte mich nehmen. Ich war so stolz und glücklich, dass ich erneut akzeptierte, meine Ausbildung komplett von vorne zu beginnen. Für ein Abschluss-Zeugnis von diesem Restaurant war ich bereit, die zwei Jahre Ausbildung in der Kantine in den Wind zu schießen. Am 1.9.2010 fing ich dort als Lehrling an. Geile Speisekarte, super Küche, vornehme Gäste, tolle Kollegen. Ich war im Himmel angekommen! Ohne zu murren, habe ich die 50-Stunden-Woche durchgezogen. Dass ich keine einzige Pause machen konnte, habe ich auch hingenommen. Hauptsache Kochen.

Mein erstes Lehrlingsgehalt kam mit zwei Monaten Verzögerung. Da wurde ich zwar nervös, aber was will man machen? Den zweiten Monat bekam ich dann nicht mehr bezahlt. Obwohl ich pünktlich und ordentlich meine Arbeit verrichtete, kein Lehrlings-Gehalt. An den Chef kam ich gar nicht heran, mein Küchenchef meinte nur, ich solle abwarten. Weitere Fragen wurden mir verboten. Als ich dann auch im dritten Monat kein Geld bekam, war meine Geduld am Ende und ich habe meine Arbeit in dem Restaurant eingestellt. Ich war am Boden zerstört und hatte nur noch Frust.

Mitte November, draußen war es schon richtig grau und trist, sitze ich an meinem Computer und surfe durch das Netz auf der Suche nach einer Ausbildung zum Koch. Dabei stoße ich immer wieder auf Links zu einem Verein namens „BLINKER Futureplanner“. Ich schaue mir deren Homepage an und finde sie ganz nett. Die haben da so kleine Filmchen auf der Site und zeigen, was sie machen. Nette Leute, denke ich und rufe dort an. Ich habe eine total nette Frau am Telefon, die sich meine ganze lange Geschichte in Ruhe anhört. Die Frau lädt mich zu einem Beratungs-Gespräch in ihr Büro ein. Am 18. November um 12 Uhr sitze ich dann bei BLINKER FuturePlanner im Beratungs-Gespräch. Jetzt rede ich mit einer anderen Frau, die noch netter ist. Ich erzähle ihr die ganze Story und die Frau fällt glatt vom Hocker. Ich denke schon, dass sie mir nicht helfen kann, weil mein Fall zu kompliziert ist. Stattdessen greift die Dame sofort zum Telefon und spricht mit zwei mir unbekannten Ausbildungs-Stellen, ob ich bei Anrechnung der schon absolvierten zwei Jahre dort meine Ausbildung fortsetzen und endlich zum Abschluss – mit IHK – bringen könne? In beiden Fällen bekommt sie eine positive Antwort. Unglaublich! Was IHK und Jobcenter nicht zustande bringen, kriegt die blonde Frau im Handumdrehen auf die Reihe? Ich kann es kaum glauben. Die Blonde hat auch gleich zwei Vorstellungstermine für mich vereinbart. Ich also am nächsten Tag hin zu den beiden Adressen. Und siehe da, kein Spruch: Ich kann dort einsteigen und innerhalb eines Jahres meinen Abschluss machen. Bin ich jetzt endlich im Himmel angekommen?

Zwei Tage später kommt der Hammer. Die Blonde von BLINKER FuturePlanner ruft mich an. Ob ich auch Interesse an einer dritten Möglichkeit hätte? Sie habe mit einem Hotelier oben an der Ostsee telefoniert. Der sei Direktor eines Dorint-Hotels am Darß und würde sich gerne meine Bewerbungs-Unterlagen anschauen. Wenn sie ihm gefallen, würde er mich als Lehrling übernehmen, sogar unter Anrechnung der beiden absolvierten Jahre! Ein Dorint an der Ostsee! Wie geil ist das denn? Ich bin sprachlos und begeistert. Ich sende meine Unterlagen sofort zu dem Hoteldirektor. Zwei Tage später habe ich ein längeres Telefonat mit dem Direktor. Ein total cooler und lässiger Typ. Er sagt, er würde mich gerne ab dem 23.12. – also mitten im Weihnachtsgeschäft in der Hauptküche einsetzen. Wenn ich drei Probetage überstehe, soll ich als „verspätetes Weihnachtsgeschenk“ meinen Ausbildungs-Vertrag bekommen.

Heute ist der 9.12.2010. In genau zwei Wochen werde ich am Herd des Dorint-Hotels stehen und endlich wieder kochen. Ich werde alles geben, darauf kann sich der Direktor schon mal verlassen. Ich bin sehr gespannt, wie dieses Abenteuer ausgeht.

Fortsetzung folgt!

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Teil 7

Teil 7

Wie vereinbart sitzen Frantisek und ich am 8. Juli im Büro der Bereichsleiterin des Jobcenter Berlin-Neukölln. Mit dabei ist auch die Teamleiterin. Die beiden Damen machen es spannend:

Zuerst erklären sie erneut, warum der Bildungsgutschein, also die Bezahlung der restlichen zwei Ausbildungsjahre, für Frantisek nicht ausgestellt werden kann. Vorschriften, Paragrafen, Leitsätze, Regelungen, die alle dafür gemacht wurden, um Leuten wie Frantisek eine Ausbildung zu verhindern. Enorm, was Politiker, Juristen und Verwaltungsmenschen sich alles ausdenken, um Leute dumm und stumm zu halten.

Dann hält die Bereichsleiterin einen kleinen Vortrag, wie intensiv sie recherchiert und herausgefunden hat, dass es für Frantisek´s Ausbildung zum Regenerativen Energie-Manager doch eine Möglichkeit mit dem verflixten Bildungsgutschein gibt: Und zwar in der Nähe von Stuttgart!

Was zum Teufel soll Frantisek in Stuttgart? Er lebt hier in Berlin mit seiner Frau und seinem Kind (2 Jahre) in einer frisch bezogenen Wohnung. Hier in Berlin hat er die Ausbildung begonnen, bereits ein Jahr erfolgreich absolviert. Wie soll das gehen? Umzug für die ganze Familie nach Stuttgart? Oder soll Frantisek immer pendeln? Wer soll die Bahnfahrten bezahlen? Wie soll eine Bleibe in Stuttgart bezahlt werden?

„Doch, doch“, erklärt die Bereichsleiterin optimistisch, „das würden wir alles bezahlen. Die Ausbildung, die Bahnfahrten, die Unterkunft.“ Das würde zwar dreimal mehr kosten, als der Bildungsgutschein für die Ausbildung in Berlin. Am Geld scheint es also nicht zu scheitern. Wir haben´s ja! Es liegt nur an den Vorschriften – mit Sinn und Verstand hat das wenig zu tun.

Frantisek motzt und sagt, „dass ich mich langsam verarscht fühle. Ihr Vorschlag ist schwachsinnig. Nach Stuttgart gehe ich auf keinen Fall!“

Und dann, ohne mit der Wimper zu zucken, setzt Frau Bereichsleiterin zum dritten Vortrag an: „Wir haben uns intensiv beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir für Frantisek Klein eine sogenannte Einzelfall-Maßnahme einrichten werden. Das bedeutet, dass wir eine Ausnahme machen und den Bildungsgutschein für die Ausbildung in Berlin bereit stellen werden.“

Wir staunen, reiben uns die Ohren und fragen nach wie die Blöden. „Das bedeutet, Frantisek kann seine Ausbildung hier in Berlin fortsetzen? Mit einem Bildungsgutschein für die restlichen zwei Jahre? Kein Scherz? Wirklich?“

Kopfnicken bei Frau Bereichsleiterin und ihrer Kollegin: „Ja, so ist es. Der Geschäftsführer des Jobcenters, Herr Tack, hat dies ausdrücklich angeordnet.“

Seit ich Frantisek kenne, sehe ich diesem Moment zum ersten Mal ein glückliches Lächeln in seinem Gesicht. Seine Sorgenfalten sind plötzlich geglättet, seine Augen sind klar und ruhen konzentriert auf einem Fixpunkt. Man kann sehen, wie Ruhe in seinen nervösen Körper fließt und wie seine verkrampften Muskeln langsam entspannen. Er denkt ruhig nach über das, was er eben gehört hat. Dann folgt ein langes erschöpftes Ausatmen, als wenn er gerade eine sehr schwere Last endlich abstellen kann.

Ich kläre mit den beiden Jobcenter-Frauen, welche Formalitäten noch zu klären sind, während Frantisek still neben mir sitzt und nichts mehr sagt. Dann bedanken wir uns und verlassen den Raum. Unten vor der Haupt-Tür umarmen wir uns. Ich beglückwünsche Frantisek zu seinem  Erfolg, er bedankt sich für meine Unterstützung. Dann verabschieden wir uns.

Nachtrag:

Seit dem 23.8.2010 ist Frantisek Auszubildender im zweiten Lehrjahr an der Berufsfachschule „Aucoteam“ im Lehrberuf „Technischer Assistent für Regenerative Energien“. Der Bildungsgutschein liegt vor, es gibt keine Hindernisse mehr. Regelmäßig telefoniere ich mit Frantisek und seiner Schule, ob alles in Ordnung ist. Alles läuft reibungslos, wird mir versichert. Auch ich kann jetzt durchatmen und bin dankbar dafür, dass unsere Anstrengung fruchtbar geworden ist. Das gibt uns Kraft für weitere solche Aktionen.

Nachtrag 2:

Wie in allen Medien berichtet, war Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 23. bis 27.8.2010 in Deutschland unterwegs in Sachen Energiepolitik. Zwar sollen die Atomkraftwerke länger laufen, als bisher geplant. Aber gleichzeitig hat Merkel der Atom- und Kohle-Lobby klargemacht, dass die Konzerne Geld abgeben sollen, damit der Anteil der „Regenerativen Energien“ am Gesamt-Mix der Energieversorgung in Deutschland bis 2030 mehr als verdoppelt werden soll. Wenn das kein Timing ist! Viel Erfolg Frantisek!

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Chance geboten (Teil 6)

Samstag, 3.7. 2010, 10.20 Uhr. Ich sitze im Auto und fahre zu Freunden, um am Nachmittag das WM-Spiel der Deutschen Jungs gegen Argentinien zu schauen. Wie gesagt, es ist Wochenende und aus unserem ersten Gespräch mit Herrn Tack weiß ich, dass er seit heute im Urlaub ist. Bretagne oder Mallorca, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls richtig weit weg.

Mein Handy klingelt.

 „Hier Tack, guten Tag Herr Lauk!“

 Mein Ohr und mein Gehirn sind überfordert, also frage ich nach: „Wer ist da bitte?“

„Hier spricht Konrad Tack, Geschäftsführer Jobcenter Berlin-Neukölln, störe ich gerade?“

Ich kann es kaum glauben, fahre schnell rechts ran und spreche ausführlich mit dem erstaunlichen Mann. Er erklärt, dass er von den Widersprüchlichkeiten gehört und auch meine Email an die Bereichsleiterin gelesen hat. Man hört an seiner Stimme, dass er mit der Arbeit seiner Mitarbeiterin nicht glücklich ist. Wörtlich sagt er: „Ich werde gleich am Montag bei meiner Bereichsleiterin anrufen und dafür sorgen, dass Ihr Schützling seinen Bildungsgutschein bekommen wird. Versprochen!“

Unglaublich, dieser Typ. Ich bedanke mich ausdrücklich und sage ihm, dass ich seinen Einsatz sehr zu schätzen weiß. „Ist schon gut“, sagt er trocken und damit ist das Telefonat beendet. Umgehend rufe ich Frantisek an und berichte ihm von dem Anruf. Frantisek ist total überrascht. „Wirklich?“ fragt er, „kein Scherz? Das gibt´s doch nicht. Wahnsinn! Ich dachte schon, ich muss mich wieder anketten.“

Muss er erst mal nicht. Mit Spannung sehen wir dem Gespräch am 8. Juli bei der Bereichsleiterin entgegen….

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Chance geboten (Teil 5)

Eine gute Woche später, 1.7.2010.

Nachdem Frantisek die fehlenden Unterlagen am 24.6. eingereicht hat, ist er heute erneut zum persönlichen Gespräch im Jobcenter eingeladen. Der Geschäftsführer Herr Tack ist nicht anwesend, dafür kümmert sich die Bereichsleiterin jetzt um den Fall. Frantisek glaubt, heute seinen begehrten Bildungsgutschein zu bekommen.

Stattdessen erklärt ihm die Bereichsleiterin, warum der Bildungsgutschein nun doch nicht ausgestellt werden könne. Ihre Aussagen sind wirr und willkürlich. Zum einen könne die Unterstützung nicht erfolgen, weil Frantisek vor sechs Jahren (!) schon einmal eine Ausbildungsmaßnahme zum Bürokaufmann erhalten habe. „Ein zweites Mal geht das nicht.“, sagt sie. Zum anderen habe die Berufsschule am Telefon erklärt, „die Kosten für das dritte Ausbildungsjahr nicht tragen zu wollen.“

 Diese letzte Aussage geht an jeglicher Sachkenntnis völlig vorbei. Es geht nicht darum, dass die Schule Kosten trägt, sondern es geht darum, dass das Jobcenter etwas zahlen soll. Die Schule hat ja schon auf ein Jahr Schuldgeld verzichtet. Wir telefonieren sofort mit der Berufsschule und berichten von dem angeblichen Telefonat mit dem Jobcenter.

Ja, ein Gespräch mit dem Jobcenter habe es gegeben, bestätigt die Schulleitung. Aber von einer Kostenverweigerung war gar keine Rede. Im Gegenteil: „Wir haben dem Jobcenter erneut versichert, dass wir auf den Kosten des ersten Ausbildungsjahres sitzen bleiben, weil wir sie Frantisek erlassen haben. Er ist ein guter Schüler und wird die Ausbildung packen. Es geht jetzt nur noch um den Bildungsgutschein für die restlichen zwei Jahre. Das haben wir gesagt!“ Die Schulleiterin ist sehr empört, wie ihr das Wort im Munde verdreht worden ist und der Bittsteller damit abgespeist wurde. „Da kann man mal sehen, wie die Jobcenter mit ihren Kunden und uns als staatlich anerkannter Bildungsträger umgehen. Völlig willkürlich und zur Not mit glatten Lügen!“

 Nach diesem Gespräch schreibe ich eine höfliche aber bestimmte Email an die Bereichsleiterin und weise auf die Widersprüchlichkeiten hin mit der dringenden Bitte um ein neues, klärendes Gespräch. Eine Stunde später erhalte ich von der Bereichsleiterin eine Antwort:

Sehr geehrter Herr Lauk,

in meinem heutigen persönlichen Gespräch habe ich Herrn Klein ausführlich  erklärt, aus welchen Gründen wir leider keinen Bildungsgutschein für die restlichen zwei Jahre ausstellen können. Ich habe auch mit ihm vereinbart, dass in der nächsten Woche ein Termin mit ihm, mir und der zuständigen Teamleiterin des  M&I –Bereichs  ( Vermittlungsbereich )  stattfinden wird, wo wir gemeinsam ein Lösung finden wollen, um die Wünsche von Herrn Klein mit unseren gesetzlichen Möglichkeiten abzugleichen.

Diese Einladung wurde heute bereits zum 08.07.2010 um 14:00 Uhr im Jobcenter Neukölln, Zimmer 5C073 5. Etage an Herrn Klein übersandt. Gern können Sie an diesem Gespräch teilnehmen.  

Umgehend antworte ich der Dame, dass ich selbstverständlich gerne an dem Gespräch am 8.7. teilnehmen werde. Den ganzen Schriftverkehr setze ich in c.c. auch an Herrn Tack. Dass wir enttäuscht und verwirrt sind, schreibe ich natürlich nicht. Dieses Pulver wollen wir uns für das Gespräch aufheben.

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Chance geboten (Teil 4)

22.6.2010, 11 Uhr. Das Interview mit Frantisek ist abgeschlossen Die Leute gehen weiter, das Wachpersonal schaut verstohlen und spricht etwas ins Walkie-Talkie. Keine weiteren Reaktionen. Unsere Aktion scheint ins Leere zu laufen.

Doch plötzlich kommt ein älterer Herr aus dem Jobcenter zu uns und spricht mit Frantisek. Es ist kaum zu glauben: Der Mann ist der Geschäftsführer des Jobcenters. Er zeigt Verständnis für Frantiseks Aktion und bietet ihm an, zu einem klärenden Gespräch hinauf ins Büro der Geschäftsleitung zu kommen. Wir sind sehr überrascht und nehmen das Angebot dankbar an. Fünf Minuten später sitzen Frantisek und ich im Chef-Zimmer im sechsten Stock mit herrlichem Blick über die Dächer Berlins. Der Chef, Herr Tack, macht einen netten Eindruck und fordert Frantisek auf, die ganze Geschichte zu schildern. Story siehe oben. Geduldig hört Herr Tack zu und macht sich einige Notizen:

 „Okay, ich habe alles verstanden“, sagt er, „nach meiner Meinung müsste Ihnen ein Bildungsgutschein für die verbleibenden zwei Ausbildungsjahre ausgestellt werden. Alles andere wäre sinnlos.“

Eine Antwort, die uns sprachlos macht. Nach all dem Stress und Ärger mit den diversen Jobcenter-Mitarbeitern – Sachbearbeiter, Fallmanager, Teamleiter, Bereichsleiter – sitzt nun der Chef höchst persönlich vor uns und plädiert für die beste Lösung, den Bildungsgutschein. Der Bildungsgutschein bedeutet, dass das Jobcenter die Kosten für die restlichen zwei Ausbildungsjahre an der Berufsschule für monatlich 300,- übernimmt! Also 7.200,- Euro gesamt! Das Hartz4-Geld würde dann ganz offiziell parallel weiter fließen, so dass Frantisek in Ruhe seine Ausbildung absolvieren kann. Fantastisch! Wir fragen ungläubig nach, aber Herr Tack bleibt bei seinem Wort. Er bittet nur darum, dass Frantisek noch ein paar fehlende Unterlagen nachreicht. „Dann leite ich diese Unterlagen weiter. Ich kümmere mich ab jetzt persönlich um Ihren Fall. Wir kriegen das hin!“

 Glücklich verlassen wir das Jobcenter. Frantisek strahlt. Er ist seinem Ziel jetzt ganz nah…

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Chance geboten (Teil 3)

Fünf Tage später, am 22. Juni 2010 um 9 Uhr trifft unser BLINKERTV-Team Frantisek vor dem Jobcenter Berlin-Neukölln. Wie immer herrscht vor Deutschlands größtem Jobcenter reger Betrieb. Es gibt drei Kategorien von Besuchern:

  1. Gehen stumm rein und kommen stumm raus.
  2. Gehen stumm rein und kommen schimpfend heraus.
  3. Gehen ängstlich murmelnd rein und kommen geschockt heraus.

 Gruppe 3 ist in der Mehrheit.

 Wir könnten mit unserer Kamera stundenlang verzweifelte Menschen drehen. Aber heute sind wir wegen einer Person hier.

Frantisek kettet sich in aller Ruhe an ein Geländer direkt am Gebäude des Jobcenters an. Niemand stört ihn dabei, das Wachpersonal schaut verstohlen, die Besucher laufen verwirrt weiter. Wir filmen eine geschlagene Viertelstunde, wie der junge Mann sich ans Jobcenter ankettet und seine selbst gemalten Plakate aufstellt. „Jobcenter verhindert Ausbildung“ steht da in großen Lettern. Keine Reaktion, nur hastige Blicke.

Als wir alle Schnittbilder im Kasten haben, beginnen wir mit dem Interview mit Frantisek. Unsere Ton-Angel wird ausgefahren, jetzt sehen wir wie ein normales TV-Team aus. In kurzer Zeit bildet sich eine neugierige Menschentraube um uns herum. Alle hören zu, wie Frantisek seine Geschichte erzählt. Story siehe oben. (Anm. d. Autors: Diese Bilder sind seit 24.6.2010 auf BLINKERTV und YOUTUBE zu sehen. Titel: Jobcenter verhindert Ausbildung)

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Chance geboten (Teil 2)

Zehn Monate später, Juni 2010, kommt Frantisek zum zweiten Mal in unser Beratungsbüro. Doch jetzt ist er völlig fertig, verzweifelt und wütend. Fassungslos hören wir ihm zu: „Das mit der Schule lief sehr gut. Die Ausbildung macht Spaß, ich lerne viel und schreibe gute Noten, soll ins 2. Ausbildungsjahr versetzt werden. Aber seit kurzem habe ich ein neues Jobcenter, weil ich von Kreuzberg nach Neukölln gezogen bin, jetzt ist Neukölln für mich zuständig. Und seitdem habe ich die Kacke am Dampfen: Weil ich die Ausbildung mache, streicht das neue Jobcenter mein Hartz4-Geld. Nur wenn ich die Ausbildung abbreche, kriege ich wieder Hartz4-Geld. Und außerdem muss ich das Hartz4-Geld der letzten 10 Monate auf einen Schlag zurück zahlen. 7090,- Euro! Ich hab´ nicht mal 100 Euro! Was denken sich diese Leute?“

Frantisek schäumt vor Wut und schimpft auf den Kraken-Staat. (Anmerkung d. Autors: Hier bitte den Kinofilm „Per Anhalter durch die Galaxie“ anschauen, oder die Bücher von Hobbes zu „Leviathan“ oder von Machiavelli „Der Staat als Tyrann“ lesen. Max Weber „Staat und Gesellschaft“ geht auch.)

 Tatsache an diesem Tag ist: Frantisek hat es schriftlich und mündlich – Hartz4 Kohle weg, solange die Ausbildung läuft. Ab sofort! Also kein Dach mehr überm Kopp und nichts zu essen. Oder Ausbildung abbrechen. Das ist nicht mal mehr eine Sanktion, das erfüllt schon Tatbestand der Nötigung.

Frantisek will aber nicht Bücher lesen und Filme gucken, sondern er droht Gewalt gegen das Jobcenter an. „Ich zünde da eine Bombe, ich bring die um und dann mich selbst“, und solche Sachen. Die Suizid-Androhung überhöre ich einfach. Ich frage ihn, was er sich wirklich vorstellen könnte, etwas realistisches, keine sinnlose Gewalt, denn die endet sowieso nur im Knast. Etwas, was jetzt noch helfen könnte?

 „Tja“, sagt er, „deswegen bin ich ja bei Ihnen, vielleicht fällt Ihnen etwas Gutes ein? Irgendwas mit Medien?“

 Kurze Denkpause. Meine alten Kunden bei Sat1, RTL, ProSieben, NDR, MDR, ARD haben für solche komplizierten Geschichten schon lange keine Nerven mehr. Die Quote…

 Also schlage ich Frantisek vor, mit uns ein Film-Projekt auf BLINKERTV zu machen. Als altgedienter Castor-Transporte-Berichterstatter fällt mir sofort das Anketten ein. Das Anketten von Aktivisten an Bahngleise, damit passiver Widerstand geleistet wird. Eine alte Klamotte aus der Öko-Kiste, aber effizient.

 „Du kettest Dich ans Jobcenter an und wir filmen das. Mal sehen, was passiert.“

 „Geile Idee. Mache ich!“

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Chance geboten (Teil 1)

Im Jahr 2009 ist ein junger Mann namens Frantisek Klein zum ersten Mal in unserem Berliner Beratungsbüro. Der 30jährige lebt von Hartz4 und hat noch keine Ausbildung. Deshalb ist er zu uns gekommen.

 Im Gespräch finden wir heraus, dass Frantisek sich für technische Berufe interessiert. Besonders die Solartechnik und die regenerativen Energien faszinieren ihn. Wir sprechen mit ihm über eine Ausbildung an einer Berufsfachschule in Berlin. Dort kann man den „Staatlich geprüften Assistenten für regenerative Energien“ erlernen.

Das möchte Frantisek gerne machen. Einziger Haken: Die Ausbildung kostet 300,- monatlich. Und die meisten deutschen Jobcenter verbieten jungen Hartz4-Empfängern die Annahme von BaföG-Geld (wird eigentlich vom BaföG-Amt bereitwillig gezahlt). Wer es dennoch annimmt, kriegt den gleichen Betrag vom Jobcenter weg genommen (mehr zu dieser schön irren Thematik unten im Blog, siehe auch unsere Bundestags-Petition vom Februar 2010).

 Trotzdem: Wir kennen die Ausbildungsstelle ganz gut und bitten dort um Kulanz für Frantisek. Dankenswerterweise verzichtet die Schule auf die Monatsgebühr für zunächst ein Jahr! Hartz4 kann während der Zeit parallel weiter laufen, weil der Fallmanager im damals zuständigen Jobcenter Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain zusagt, Frantisek von sinnlosen Maßnahmen und perspektivlosen Jobvermittlungen zum Tellerwäscher zu verschonen. Eine Meisterleistung der lösungsorientierten Mitspieler in der Schule und im Jobcenter. Frantisek kann seine Wunsch-Ausbildung tatsächlich anfangen! Alle sind happy.

 Im August 2009 fing Frantisek bei der Schule an. Fast ein Jahr lang haben wir nichts mehr von ihm gehört…

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